Kindergekreische und ein hupender Zug – Turbine besiegt mit aller Kraft den SC Freiburg
Spielbericht zur Frauen-Bundesliga SC Freiburg gegen Turbine Potsdam am 14. April 2019
Frauenfußball in Freiburg ohne Fanbus – aber mit Fans! 1600 Kilometer an einem einzigen Tag hin- und zurückzufahren, vermag weder Bus noch Fan. Aus diesem Grund rollt nie ein Fanbus nach Freiburg, was aber den einen oder anderen eingefleischten Turbine-Fan nicht davon abhält, per Zug oder privaten PKW, z.B. in einem Skoda… zu steigen, um sich auf den weiten Weg zu machen.
Mit einer Übernachtung im Schwarzwald – ähh – Schwäbischen – ähh – doppelt sorry! – im Südbadischen, intensiviert solch ein Wochenendausflug das gemeinsame Fanerleben. Und wer eine Reise macht, hat auch etwas zu erzählen…
Die Anreise
Die 11 Turbinefans, die sich für die Fahrt einem Kleinbus mieteten bzw. per Skoda reisten, wurden nach einstündiger Fahrt von rot leuchtenden Motorschadenhinweislämpchen ausgebremst. Der Skoda wollte nicht direkt nach Freiburg, sondern „seine Freunde“ im Skoda-Autohaus in Dessau besuchen. Der gewünschte neue Rußpartikelfilter stellte für die flexibel Autowerkstatt kein Problem dar. Auch die sich währenddessen am Skoda-Frühstücksbuffet labenden Turbine-Fans nicht, die ein Schnitzelchen und Kuchenstückchen nach dem anderen in ihre Münder schoben. Neben netten Gesprächen und einer flinken Reparatur gab es am Ende noch zwei Flaschen Autohaus-Sekt als Reisproviant vom Autohaus geschenkt. Ja, wer eine Reise macht, hat etwas zu erzählen.
Den weiteren Reiseverlauf stoppte dann nur noch Bouletten und Kartoffelsalat nach delikater Hausmacherart und ein Blick vom Aussichtsturm auf die Frankfurter Skyline an der Raststätte „Taunusblick“.
Der Vorabend
Am frühen Abend erreichte die „Reisegruppe Blau“ ihre Herberge, das „Hotel Helene“. Kurz danach kehrte sie mit der Freiburger Straßenbahn zum Spätzle- und Brägele-Essen in einem urischen „Anker“-Restaurant ein. Bier und Fleisch der benachbarten Brauerei „Ganter“ und Metzgerei „Kindle“ mundeten hervorragend – und die Kinderschnitzel gab es nur in der Zwillings-Variante. Die Welt stand Kopf und der volle Magen auch– und so durfte das eine oder andere Schnitzel aus der Gaststätte styroporumhüllt hinausspazieren .
Die Party auf Zimmer 24 erheiterte all diejenigen, die nicht währenddessen einschliefen, ungemein. Und spätestens, als das Elfmeterschießen von Getafe angeschaut wurde, schlug auch der letzte Partygast seine Äuglein wieder auf.
Sonntagsvormittagsspaziergang
Am Sonntag sollte der Anpfiff um 13.00 Uhr im Mösle-Stadion ertönen. Es blieb noch ausreichend Zeit zwischen Frühstück und Freiburger „Fußball-Braten“. So konnte man mit einer früheren Fußballspielerin der Region, die zufällig im selben Hotel wohnte, über ihre alten Zeiten plaudern, als sie damals 2003 gegen Turbine Potsdam gespielt hatte. Und die „Reisegruppe Blau“ nutzte das Zeitfenster, um einen Spaziergang in der historischen Altstadt von Freiburg zu unternehmen. Nachdem sich auch die Reiseleiterin Alina von der historischen Säule des sehenswerten Marktplatz-Hauses losgeklammert hatte, orientierte man sich nun auf den eigentlichen Anlass der Reise: „Da, wo ihr spielt, sind wir.“
Die Stadionatmosphäre
Auf ging’s ins Mösle-Stadion, das in der Regel immer um die 1000 Zuschauer_innen besuchen. So auch an diesem ungemütlichen, nasskalten April-Sonntag, der absolut untypisch für die sonnenreichste Region Deutschlands war.
Das Trommeln und Ratschen ist hier nicht gestattet. Mittlerweile haben sich die Turbinefans mit dieser Leise-Sein-Regel still arrangiert. So zogen sie sich immer mal wieder die Handschuhe aus, wenn sie klatschen wollten. Aber das Maskottchen wurde eingelassen – und Banner sowie Fahnen auch, also blieb die gute Laune ungetrübt.
Man fand im Möslestadion zueinander: Die Zugreisenden, weitere PKW-Reisende, die Eltern von Anna Gasper und Turbinefans aus der Region. Der Reporter wünschte sich vor Spielbeginn ein Briefing, um die pinkfarbenen Zuschauer_innen am Telekom-Bildschirm mit wichtigen Fakten versorgen zu können. Und alle Zahlen, ob die 800 km Entfernung, die Anzahl der anwesenden Turbinefans oder das Motto des Fanbanners – trug er unverfälscht in die Medienwelt weiter.
Es herrschte eine sehr freundliche Stimmung im Stadion – ob Ordner, ob Freiburger Fans, ob Stadionsprecher. Und der letztere bewahrte sich das gemächliche Tempo nach einheimischer Art, sodass die Turbinefans ganz genüsslich die Spielerinnen-Namen mitbrüllen konnten. Nur die Freiburger Fans sollten die Namen ihrer Spielerinnen noch lernen. Schon allein, damit Lena Lotzen euphorisch begrüßt werden kann, wenn sich nach einem halben Jahr Verletzungspause (beim Hinspiel gegen Potsdam) erstmals wieder auf dem Platz stand.
Was an dieser Stelle überhaupt nicht ignoriert werden sollte – und konnte! – war das Tinnitus-auslösende Etwas an der rechten Ohrseite. Neben dem Turbine-Fanblöckchen saß ein kreischender Kinderchor von ca. 6-9-jährigen Mädchen, die das Spiel wirklich aufmerksam verfolgten. Obwohl keine Boygroup auf dem Rasen stand, ging das Gekreische sofort los, sobald sich der Hauch einer Torchance anbahnte. Und wenn das Spiel dahinplätscherte, wurde immer wieder von vorn die Zahl 1-10 in einem Kinder-Fußball-Vers abgezählt. Es nervte – aber i der zweiten Halbzeit wurde etwas ruhiger – und die Eltern hatten am Sonntagabend vermutlich ihre Ruhe, da die Töchter nun ausgepowert und heiser waren.
Die erste Halbzeit
Nun zum Spiel: Die Mission, das Saisonziel „3.Tabellenplatz“ erreichen zu wollen, galt ungehindert. Nach dem Selbstvertrauen schenkenden 5:0-Sieg gegen Bremen wollte man heute mit wichtigen drei Punkten den derzeitigen 4. Platz verlassen.
Jedoch spürte man das beim Zusehen der ersten Halbzeit nicht.
Die Turbinen erschienen etwas energielos und immer wieder wurde der Angriff durch die Mitte geprobt und ausgebremst. Es gab für die Potsdamerinnen nur wenige Torchancen – und zum Glück nutzten die Freiburgerinnen ihre viel größeren Chancen auf den Führungstreffer nicht. Einen Anteil an dem „Unglück“ der Freiburgerinnen hatte dabei Lisa Schmitz, die nach langer Zeit mal wieder das Potsdamer Gehäuse hüten und sich hinsichtlich der WM-Ticket-Nominierung von der besten Seite zeigen durfte.
Svenja Huth setzte in der 4. Spielminute einen Torschuss an den Pfosten. Das erzielte Tor in der 11. Minute durch Bianca Schmidt zählte wegen eines Fouls an der Torwartfrau nicht. Freiburg konnte bei den Pfostentreffern mithalten, aber auch bei Bällen, die zeitlupenartig an der Torlinie entlangkullern, ohne dabei den leichten Dreh nach innen zu bekommen. Auf gefühlte sieben Torchancen kam Freiburg, die teilweise durch starke Schmitz-Paraden abgewehrt wurden. Das klingt alles nach einem spannenden Schlagabtausch.
War es aber nicht!
Einige Turbinefans resümierten am Ende der 1. Halbzeit, dass das Hotel toll war – und das Essen – und die Zimmerparty usw., um die Mühsal ihrer weiten Anreise zu legitmieren.
Das Schönste an der ersten Halbzeit war der Zug. Nicht irgendein Spielzug, sondern alle 20-30 Minuten fuhr längsseitig zum Stadion ein Regionalexpress der Marke RE 1 vorbei – und einer von diesen hupte beim Anblick des Spiels im Vorbeifahren.
Und das Schönste an der Halbzeitpause, das weder der Kinderchor trällerte noch Pausenmusik über die Lautsprecher ertönte. Dafür packte ein Turbinefans aus der Region eine Lautsprecherbox aus und ließ die „Turbine-Hymnen-Album“ lauthals abspielen. Das blaue Volk sang polyphon mit und feierte ab.
Die zweite Halbzeit
Die Turbinefans blieben optimistisch und hofften auf eine bessere zweite Halbzeit. Und diese begann tatsächlich in einem höheren Tempo und stärkeren Zweikampfverhalten. Die Anzahl der unselig machenden Fehlpässe verringerte sich – aber dann foulte Feli Rauch eine Gegenspielerin im Strafraum. Die Schiedsrichterin, die insgesamt mehr Unmut bei den Freiburger Fans als bei den Turbinefans verursachte, zeigte rigoros auf den Elfmeterpunkt. Sharon Beck verwandelte diesen sicher – und der Kinderchor kreischte.
Drei Minuten später wiederholte sich diese Szene in ähnlicher Form auf der gegnerischen Seite. Anna Gasper kam im Strafraum zu Fall und Feli Rauch wollte etwas wieder gut machen. Sie zog knallhart ab – und der Schuss saß. 1:1 in der 60. Minute. Nun war die Partie wieder offen, und Potsdam zog die Zügel etwas straffer als Freiburg – und der Kinderchor wimmerte.
Jetzt hatte sich die lange Anreise auch aus Sicht der Turbinefans gelohnt. Die Spannung stieg, die Hektik wurde etwas größer und die Emotionswelle schwoll an – nur der Kinderchor verebbte.
Torchancen auf beiden Seiten, Freistöße auf beiden Seiten, gelbe Karten mehr auf Seiten der Potsdamerinnen – und dann wurde in der 81. Minute Lara Prašnikar eingewechselt. „Prašnikar“ heißt auf Deutsch „Prachtexemplar“, jedenfalls könnte man das annehmen, als man ihren genialen Torschuss und -treffer in der 85. Minute beobachtete. Unglaublich – aber wahr! Jetzt kreischten die Turbinefans – und der Kinderchor schluchzte.
Ganz bescheiden reagierte Lara Prasnikar später am Mannschaftsbus auf die Glückwünsche der Fans.
Nach einer spannenden Endphase endete das Spiel mit einem sich hübsch anfühlenden Auswärtssieg – der letzte war schon etwas länger her… Und der Platz 3 wurde zwei Stunden später auch erreicht, als Rölfl gegen Essen in der 90. Minute doch noch den Ausgleichstreffer für Bayern erzielte. Die bayrische Mission war natürlich nicht der zweite Tabellenplatz im Kampf um die Meisterschaft…
Resümee
Der Wochenendausflug nach Freiburg hatte sich rundum gelohnt. Trotz Nebelkälte, phasenweisem Schneetreiben und Nieselregen. Die Menschen, die Stadt und das Spiel – waren einfach eine Reise wert. Mehrere Male wünschten verschiedene Freiburger Zuschauer_innen der „Reisegruppe Blau“ eine gute Heimfahrt. Es gab sogar Fans, die den Turbinefans per Handschlag zum Sieg gratulierten.
Ein halbes Stündchen vor Mitternacht erreichte die „Reisegruppe Blau“ wieder die Heimat, gesättigt mit Torte, Wienern und Restbouletten. Vielen Dank dem Kleinbusfahrer Peter, dem „Reisebüro Martens“ und der Reiseleiterin Alina. Ohne diese gäbe es keine Turbine-Familie.
Text: Susanne Lepke
Fotos: Saskia Nafe (sas), Reisegruppe Blau