Außer Rand und Band in Sand
Spielbericht zur Bundesliga-Partie: SC Sand gegen 1. FFC Turbine Potsdam am 03.11.2019
Sand – wo liegt denn das?
Da, wo vertrocknete Maisfelder auf badische Weinberge treffen, liegt das Dörfchen Sand. 700 km von Potsdam entfernt, nahe Offenburg und dem Schwarzwald. Das ist eine lange Distanz, die an einem Tag hin und zurück nicht zu bewältigen ist. Deshalb fährt dorthin auch kein Fanbus.
Und deshalb gibt es Peter, den Kleinbusfahrer:-)
Dieser höchstsoziale Edelfan lud am Vortag des Spiels sieben nette Damen verschiedenen Alters in einen Europcar-Kleinbus ein, um mit ihnen gemeinsam abends im Gasthaus „Goldener Engel“ zu Nesselried (5km von Sand entfernt) Spätzle und badischen Rotwein (wahlweise auch Bier: Pils? Export? Weizen?) zu genießen. Die Preise dieses Restaurants waren stolz, und der Nachschlag wartete in Silberpfannen auf einer Anrichte, nur kam der smarte Kellner spanischer Herkunft nicht mit dem Servieren und Drapieren hinterher. Beim Verlassen des Restaurants entdeckte man dann einen Michelin-Stern 2019 im Aushang – oha!
Das Warten auf die 19
Spätzlesatt hielten sich die sieben Damen und mittlerweile zwei Herren (der Hamburger Frank hatte den Ort Nesselried im Badner Land nun auch identifiziert) krampfhaft bis Mitternacht wach. Denn eine dieser Damen drohte, über Nacht einfach 19 Jahre alt werden zu wollen. Uns so feierte die fröhliche Hotelzimmerrunde in den Geburtstag des Turbine-Photography-Girls Saskia Nafe hinein.
Am Sonntagmorgen, fünf Stunden vor Spielbeginn, wartete im Hotel ein hübscher Frühstücks- und Geburtstagstisch auf das Geburtstagskind. Beim Auspacken der Geschenke gab es dann sogar „Pipi“ in den Augen. Denn nicht nur die mitgereisten Fans hatten herzerwärmende Geschenke gestaltet, sondern auch die Mannschaft des 1. FFC Turbine Potsdam ihre „Haus-und-Hof-Fotografin“ gebührlich und seelenrührend bedacht.
Auf geht’s ins Orsay-Stadion nach Sand
Später ging es im Nieselregen zum „Orsay-Stadion“ in das Dorf Sand. Das Stadion ist klein, aber fein – mit wenigen Sitzplätzen – und noch weniger davon sind überdacht. Dafür gibt es eine moderne elektronische Anzeigetafel, eine gemütliche Sportskneipe, angenehme Getränkepreise – und vertrocknete Maisfelder in unmittelbarer Nachbarschaft zur Seitenlinie.
Das Stadionheft des SC Sand erinnerte von der Größe und Layout her an das heimische Blatt. Es wurde als Gratisbeilage zum Eintritt von 9€ dazugereicht.
Die Ex-Turbine Marina Georgieva erkannte die Potsdamer Fans wieder und hatte sogar eine kleine Überraschung parat: ein paar Freikarten für das Spiel.
Der Sander Fanclub „Erdmännchen“
Der Fanclub „Erdmännchen“ vom SC Sand begrüßte die weitgereisten Turbinefans, es gab einige nette Gespräche vor und nach dem Spiel. Und diese Sander Fans scheuen auch nicht den weiten Weg nach Potsdam, wenn das Rückspiel ansteht. Der ganze Stolz dieser „Erdmännchen“ begründet sich derzeit in einer XXXL-Fanclub-Fahne, die an einem 10m langem Haltestab befestigt ist. Eine Viertelstunde vor Spielbeginn flatterte sie, große Achten malend, genussvoll im Regenwind. Dazu erklang das Badner Lied, diese Hymne ist allen Hoffenheim-Kundigen wohlbekannt. Ebenso auch die dazugehörige Fahnenschwing-Eröffnungsszene, die jedes Mal in Hoffenheim vor Spielbeginn zu beobachten ist. Nun gibt es dieses Angebot auch live in Sand.
Die Kooperation zwischen Fanclub und dem SC Sand ist von einer extremen Nähe gekennzeichnet. Alle 14 Tage findet ein Stammtisch statt, zu dem sich mindestens eine Spielerin aus der 1. oder 2. Mannschaft gesellt. Die Jahresabschlussfeier wird ähnlich wie die gemeinsame Potsdamer Weihnachtsfeier von Fanclub und Mannschaft zelebriert. Und die Idee des Tippspiels, das seit einem Jahr im Karli für die Fans angeboten wird, stammt aus diesem kleinen Maisfeld-Dorf.
Die äußeren Spielbedingungen
Von Regenschirmen beschützt zog die kleine Potsdamer Fan-Schar ins Stadion ein.
- Akribische Ordner mit verfinsterten Gesichtern? – Fehlanzeige!
- Pflicht-Anträge zur Erlaubnis der Mitnahme von Fanartikeln und Maskottchen? – Fehlanzeige!
Hier in Sand ging es tiefenentspannt zu. Hier saß das Frauenfußballherz am rechten Fleck! Vertrauen statt Kontrolle, Fußballsport statt Kommerz.
423 Zuschauer verfolgten die Partie. Die 23 stand vermutlich für die
Potsdamer Fans. Die Kleinbusbesatzung, Edelfan Dexy mit Gefolge
(darunter der Zugreisende Lutz), die Eltern von Luca Graf und Anna
Gasper, und ein paar Sympathisanten aus der Region.
Das Wetter war bescheiden: Fast die gesamte Spielzeit regnete es, mal nieselig, mal stärker. Die von der Wetter-App prophezeite 47% Regenwahrscheinlichkeit war damit widerlegt.
Aber der Rasen war bespielbar. Da platschte und suppte nichts, nur ab und zu rutschte der Ball oder eine Spielerin weg oder es kam zu Ballverwehungen aufgrund des Regenwindes. Aber das alles ist immer noch besser als Schnee! Denn dieser führte im Vorjahr zur spontanen Spielabsage, sodass die damals angereisten Fans 1.400 km umsonst gefahren waren.
Der Stadionsprecher verlas im badischen Tempo die Mannschaftsaufstellung, d.h. in doppelter Langsamkeit – erfreulich für die spielernamenkundigen Fans. Nur die Ersatzspielerinnen wurden nicht genannt, auf beiden Seiten nicht. So konnten die Fans erst nach und nach erkennen, dass Rieke Dieckmann gar nicht mitgereist war, Jojo (Johanna Elsig) ihren Achillessehnen-Fuß frisch verbunden hatte, dafür aber Schmidti (Bianca Schmidt) live vor Ort war.
Zum Startaufgebot gehörte diesmal das Küken Marie Höbinger. Das lässt hoffen, dass es Sophie Weidauer als großes Nachwuchstalent demnächst auch in die erste Halbzeit schaffen wird.
Mit voller Kraft voraus
Die Begegnung der Tabellennachbarn (Potsdam = 8. / Sand = 9.) wurde angepfiffen und Potsdam begann mit Feuer! 1. Minute – Angriff über links. 2. Minute – Angriff über links. 3. Minute – Angriff über links. 4. Minute – Angriff über links. 5. Minute – Angriff über rechts – und Tor!
Das Spiel über die Flügel funktionierte großartig. Potsdam hatte kein Sand im Getriebe, die Rädchen schnurrten geschmeidig. Nach Anna Gerhardts Zuspiel jubelte Luca Graf im Strafraum – und die hochverdiente Sander Spielerin Anne van Bonn ließ gleichzeitig den Kopf hängen. Die Turbinefans feierten Luca Graf als Torschützin des frühen Führungstors. Später sollte sich herausstellen, dass es sich um ein Eigentor handelte. Wie dem auch sei – der Start war absolut gelungen!
Und man konnte weiterhin interessiert dem Spielverlauf zusehen, denn die Torbienen spielten frisch und frei auf. Zwar hielten die Sandner Spielerinnen trotz Anfangsschock etwas mehr dagegen, doch die Potsdamerinnen ließen sich davon nicht beirren. Zack – 0:2 durch Ehegötz! Zack – das 0:3 durch Ehegötz! Na, hier ging ja was ab!
Obwohl die Sonne es nicht durch die Regenwolken schaffte, war jetzt alles sonnenklar. Die Rädchen des Getriebes schnurrten in der ersten Halbzeit unaufhaltsam vor sich hin. Fischi hielt alles, was ihr angeboten wurde. Die Potsdamer Abwehr stand immer felsenfester: mit einer konzentriert agierenden Sara Agrez, einer toll aufspielenden Gosia Mesjasz, einer verlässlichen Caro Siems und einer zirkulierenden Sarah Zadrazil, die irgendwie überall für Antrieb sorgte. Durch diese Abwehr rieselte kaum ein Sandkörnchen durch.
Luca Graf zeigte sich als Kampfmoral in persona, ihr war irgendwie jeder Ball wichtig. Die Flügelspielerinnen Anna Gasper und Nina Ehegötz meisterten ihre Sache gut. Leider war Anna Gasper kein Tor vergönnt – trotz einiger Chancen und hohem spielerischen Einsatz. Nina Ehegötz ging zum Spielende etwas die Luft aus und wurde auch ausgewechselt. Auch Anna Gerhardt machte ihre Sache gut. Und Lara Prasnikar meldete sich kurz in der zweiten Halbzeit, als sie zum 0:4 erhöhte.
Dieses unglaubliche Endergebnis war Zeugnis einer absoluten Mannschaftsleistung! Hier passte heute alles zusammen. Ein Sieg, der selbstbewusst eingespielt wurde. Ein Spiel, dass man ohne Angst und Zittern verfolgen konnte. Das hatten die Fans in dieser Saison so noch nicht erlebt. Fast wie in alten Zeiten…
Und da die Fans so weit gefahren waren, so der O-Ton der Kapitänin Sarah Zadrazil, kam die gesamte Mannschaft zum Abklatschen an die Bande. Das Geburtstagskind wurde natürlich von jeder Spielerin zusätzlich umarmt.
Übrigens sorgte diesmal die Schiedsrichterleistung für keinerlei Diskussionen. Es gab echtes Abseits, softige Foulentscheidungen, insgesamt ein moderat gepfiffenes Spiel. Geht doch!
Ein Rätsel zum Schluss
Zum Speiseangebot des Stadions gehörten auch Bouletten. Aber wie wird die „Boulette“ in Sand bezeichnet?
Na?
Sand-a-lette.
Haha!
So lautete der aufgeputschte Eigenkreations-Humor der Potsdamer Fans – aufgrund des genialen Spielverlaufes blieb das Lachen diesmal nicht im Halse stecken.
Und ein Ausblick
Am kommenden Wochenende gibt es Frauenfußball von 423 äh 90.000 Zuschauern in England zu sehen, wenn die deutsche Nationalmannschaft auf England trifft. Anna Gasper wird dabei sein – yeah!
Am darauffolgenden Wochenende steht das Achtelfinale im DFB-Pokal an. Und was liegt noch weiter entfernt als Sand? Freiburg! Aber die Torbienen können mehr als eine 4:5-Aufholjagd!
Ein Wiedersehen in der Flyeralarm-Bundesliga wird es dann erst wieder am 24.11. zum Heimspiel gegen Duisburg geben. Bis dahin allen Turbinefans eine gute Zeit!
Text: Susanne Lepke
Fotos: Saskia Nafe (19) – (sas), Mandy Habedank (maha), Beatrice Martens (bea), Peter Tietze (peti), Alina (ali), Susanne Lepke (sule) – DANKESCHÖN!